Forschungsinstitut Technologie und Behinderung Briefe vom Amt verstehen: Über 150 Besucher beim Fachtag „Leichte Sprache in Nordrhein-Westfalen“

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Briefe vom Amt verstehen: Über 150 Besucher beim Fachtag „Leichte Sprache in Nordrhein-Westfalen“

Foto: v.l.n.r.
Annika Nietzio, Jürgen Dittrich, Lars Ehm, Nobert Killewald, Melanie Struck, Christian Bühler, Astrid Hinterthür, Ulrike Salomon-Faust

Mit dem Modellprojekt „Briefe vom Amt in Leichte Sprache übersetzen“ hat das Büro für Leichte Sprache Volmarstein gemeinsam mit Kooperationspartnern Konzepte zur barrierefreien Kommunikation in der kommunalen Verwaltung entwickelt, erprobt und evaluiert. Beim Fachtag „Leichte Sprache in Nordrhein-Westfalen“ der Agentur Barrierefrei NRW am 15. November 2018 stellten die Partner die Ergebnisse des von der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW geförderten Projekts vor: In Zusammenarbeit mit der Stadt Bochum, dem Ennepe-Ruhr-Kreis und der Stadt Paderborn wurden im dreijährigen Projektzeitraum Anträge, Formulare und Bescheide in Leichte Sprache übersetzt, Mitarbeitende aus den Verwaltungen in der Anwendung von Leichter Sprache geschult und neue Abläufe für den Kommunikation zwischen Ämtern und Bürgern etabliert. Über 150 Besucher aus ganz Deutschland kamen zum Fachtag nach Essen, um sich über rechtliche Hintergründe zu informieren, mehr über konkrete Anforderungen von Menschen mit Lernschwierigkeiten an barrierefreie Kommunikation zu erfahren und sich über Herausforderungen und Erfolge bei der praktischen Umsetzung im Verwaltungsalltag auszutauschen.

Leichte Sprache und schlanke Formulare für barrierefreie Kommunikation

Vorgestellt wurden beim Fachtag verschiedene Formate, um Verwaltungsakte barrierefrei in Leichter Sprache zu gestalten: Neben kompletten Übersetzungen wie etwa beim Fahrdienst-Antrag der Stadt Bochum sind auch erklärende Infohefte zum Thema Wohngeld sowie Ausfüllhilfen in Leichter Sprache als Ergänzung zu den bisherigen Antragsformularen entwickelt worden.
Dabei ist die Übersetzung von Texten nach den Regeln der Leichten Sprache - einfache, bekannte Wörter nutzen, kurze Sätze bilden, Nominalstil vermeiden - zwar der wichtigste, aber längst nicht der der einzige Schritt hin zu barrierefreier Kommunikation in der Verwaltung, wie die Projektleiterin Annika Nietzio vom Büro für Leichte Sprache Volmarstein erklärt: "Teil des Projekts war es auch, etablierte Verwaltungsabläufe zu analysieren und zu hinterfragen. Statt etwa alle Eventualitäten in einem langen Formular abzufragen, haben wir Anträge so aufgeteilt, dass die wichtigsten Informationen im ersten Formular erfasst werden und zusätzliche Informationen, die nur in seltenen Fällen relevant sind, erst bei Bedarf nacherhoben werden. Außerdem gilt das Motto ‚Ankreuzen statt ausfüllen'. Beides macht die Anträge leichter verständlich und nimmt den Antragstellern die Angst vor dicken Formularstapeln."
Auch bei der Zugänglichkeit von Informationen wurden neue Wege erprobt und Vorgänge dort angesiedelt, wo sie aus Bürger-Perspektive hingehören: So wurden Informationen und Anträge zu Bildungs- und Teilhabeleistungen von den Eltern besser angenommen und verstanden, wenn sie vom bekannten Sozialarbeiter in der Schule erklärt und überreicht und nicht anonym vom Amt zugeschickt wurden.

Nicht ohne uns über uns - Menschen mit Lernschwierigkeiten sind Teil des Projektteams

"Für mich ist beim Projekt klar geworden: Die Leute beim Amt sind auch nur Menschen, man kann hingehen und sich mit denen unterhalten. Sie nehmen sich Zeit, um Dinge zu erklären und wollen einem helfen. Das macht Mut, sich um die eigenen Angelegenheiten selbst zu kümmern", berichtet Stefan Müller. Er gehört zur Gruppe der Experten in eigener Sache, die an dem Projekt mitarbeiten. Acht Menschen mit Lernschwierigkeiten haben dazu die Übersetzungen in Leichte Sprache auf ihre Verständlichkeit hin geprüft, selbst Ämter besucht und Informationsangebote getestet - und sich über ihre Erfahrungen mit den Mitarbeitenden der Verwaltung ausgetauscht.

Zur Nachahmung empfohlen: Großes Interesse an Praxis-Beispielen

Unter den Teilnehmern des Fachtags konnten Prof. Dr. Christian Bühler von der Agentur Barrierefrei NRW und Pfarrer Jürgen Dittrich von der Evangelischen Stiftung Volmarstein unter anderem Landesministerialrat Lars Ehm und Dr. Christof Stamm vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales und Norbert Killewald von der Stiftung Wohlfahrtspflege begrüßen. Von ihren Erfahrungen im Projekt berichteten unter anderem die Inklusionsbeauftragte der Stadt Bochum Ulrike Salomon-Faust, die Fachbereichsleiterin für Soziales und Gesundheit des EN-Kreises Astrid Hinterthür und die Sozial- und Gesundheitsdezernentin der Stadt Paderborn Melanie Struck.
Bei den Besuchern des Fachtags, unter ihnen viele Mitarbeitende aus den Kommunalverwaltungen, Menschen mit Behinderung, Experten für Leichte Sprache und Behindertenbeauftragte der Städte stießen die Praxiserfahrungen aus den Modellkommunen auf besonders großes Interesse. So sind in der Stadt Bochum inzwischen über 170 Antragsformulare in Leichter Sprache an Bürger herausgegeben worden - mit großem Erfolg: Nicht nur, dass es viele positive Rückmeldungen von den Antragstellern gab. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Verwaltung berichten von besseren Beratungsgesprächen, weniger Fehlern in Anträgen und damit einer deutlich gesunkenen Zahl von notwendigen Rückfragen. Die Zwischenbilanz: Barrierefreie Kommunikation beim Amt ermöglicht nicht nur die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Teilhabe, sie kann die Kommunikation zwischen Amt und Bürgern auch zielführender und erfolgreicher machen Die barrierefreie Kommunikation vermittelt das gute Gefühl, ernst genommen, gehört und verstanden zu werden - und zwar auf beiden Seiten des Schreibtisches.
Umfassende Ergebnisse zu den Auswirkungen der neu gestalteten Kommunikationsstrategien sollen im Frühjahr 2019 zur Verfügung stehen, wenn die Evaluation des Projektes abgeschlossen ist.

Ausblick: Barrierefreie Kommunikation für alle Kommunen in NRW

Insbesondere seitens der Verwaltungsmitarbeitenden wurde auf dem Fachtag der Wunsch geäußert, in Zukunft möglichst viele, einheitliche Dokumente für die Verwaltungsarbeit in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen. Außerdem solle die Verwendung der Leichten Sprache Teil der Verwaltungsausbildung werden und in allen Kommunen in NRW entsprechende Schulungen für Mitarbeitende angeboten werden.
Einen Weg zu diesem Ziel beschreibt das "Diskussionspapier zum Strategischen Umgang von Trägern öffentlicher Belange mit Leichter Sprache", das Prof. Dr. Christian Bühler beim Fachtag im Podiumsgespräch mit Melanie Henkel von der LVR-Stabsstelle Inklusion und Menschenrechte und Doris Rüter vom Arbeitskreis der Behindertenkoordinatoren vorstellte. Das Papier kann - ebenso wie weitere Infomaterialien zum Fachtag - auf den Webseiten der Agentur Barrierefrei NRW heruntergeladen werden.